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Ein bewegtes Leben fand sein Ende

Paul Flagg 2022 in Wiesloch.

Tief betroffen mussten wir erfahren, dass Paul Flagg, ehemals Flegenheimer, kurz vor seinem 97. Geburtstag, am 22. August 2023 in Mequon, Wisconsin, USA, verstorben ist.

Paul Flagg, der am 4. September 1926 als Paul Benjamin Flegenheimer in Baiertal zur Welt kam, war der älteste aus Wiesloch stammende Überlebende des Holocaust. Viele Wieslocherinnen und Wieslocher erinnern sich nachdrücklich an den letzten Besuch Paul Flaggs gemeinsam mit seinem jüngeren Cousin Joel Flegenheimer im Oktober des vergangenen Jahres zum Gedenktag „82 Jahre Deportation Wieslocher Juden nach Gurs“. Hierzu waren die beiden letzten Überlebenden aus Wiesloch extra aus den USA angereist, um noch einmal beindruckend Zeugnis ihres bewegenden Lebensschicksals zu geben.
 
Paul Flegenheimer verbringt seine Kindheit und Jugend in Wiesloch, besucht zunächst die Gerbersruh-Volksschule und später obligatorisch die Jüdische Schule in Heidelberg.
Er ist 14 Jahre alt, als er zusammen mit seinen Eltern und der ein Jahr jüngeren Schwester sowie über 6500 weiteren Juden aus Baden und der Saarpfalz am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wird. Für die Familie Flegenheimer beginnt eine Odyssee durch verschiedene Lager in Südfrankreich – immer in der Hoffnung, ein Ausreisevisum in die USA zu erhalten. Pauls Schwester Lore kommt in ein Waisenhaus und überlebt. Paul selbst wird von einer Krankenschwester des schweizerischen Roten Kreuzes an die jüdische Hilfsorganisation O.R.T. vermittelt, die ihre Schützlinge in einer Landwirtschaftsschule in der Nähe von Agen in Südfrankreich, ausbildet. So wird er gerettet. Die Eltern jedoch werden nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. Pauls Weg führt ihn in den Untergrund. Er schließt sich der französischen Widerstandsbewegung Résistance an und wird schließlich französischer Soldat.
Nach dem Krieg kehren der 20-Jährige und seine Schwester im Mai 1946 wieder nach Wiesloch zurück und kommen zunächst bei Verwandten unter. Die Geschwister können später in das alte Haus der Familie Flegenheimer, Hauptstraße 131, gegenüber des Restaurants „Erbprinz“, einziehen.
Ohne Schulabschluss und Berufsausbildung sieht Paul Flegenheimer jedoch keine Zukunftsperspektive in Deutschland und entschließt sich an seinem 23. Geburtstag 1949 in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Dort hat Paul Flagg sein Glück gemacht. Er steigt als Arbeiter in Milwaukee in den Gerbereibetrieb von Verwandten der Familie Flegenheimer ein. Dort lernt er das Handwerk des Gerbers von der Pike auf, saniert später mehrere Gerbereien, unter anderem in Santa Cruz, Kalifornien, und macht sich schließlich mit seiner eigenen Gerberei, sehr erfolgreich selbstständig.
 
Der Kontakt zu Wiesloch kam im Jahr 1990 wieder zustande, als der damalige Stadtarchivar und Kulturamtschef Manfred Kurz die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Deportation nach Gurs vorbereitete. Kurz nahm damals Kontakt mit den Cousins Joel Flegenheimer und Paul Flagg auf, um sie nach Wiesloch einzuladen. Paul Flagg reagierte zunächst zögerlich. Erst nach einem persönlichen Gespräch mit Manfred Kurz entschieden sich Paul Flagg und seine Frau zur Reise und nahmen an der Gedenkveranstaltung in Wiesloch teil. Seither verband ihn und Manfred Kurz ein freundschaftliches Verhältnis mit wechselseitigen Besuchen über all die Jahre, zuletzt 2022 bei der großen Gedenkveranstaltungen der Stadt Wiesloch im Oktober.
Paul Flagg durfte nach einem wahrlich bewegten, tragischen, ereignisreichen und nach eigenen Worten glücklichen und erfolgreichen Leben, friedlich entschlafen.