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Archivalie des Monats März

Das Wieslocher Stadtarchiv hat weit mehr zu bieten, als alte, staubige Unterlagen, die „kein Mensch mehr braucht“. Ganz im Gegenteil, es ist eine Schatzkammer für das historische Gedächtnis unserer Stadt, die auf eine lange, vielfältige und spannende Geschichte zurückblicken kann. Einige der Schmuckstücke des Archivs werden ab sofort in Form der „Archivalie des Monats“ präsentiert. Kurze, erläuternde Texte liefern die dazugehörigen Hintergrundinformationen. 

Wieslocher Ansichtskarte von 1897

Ansichtskarte von 1897
Diese Ansichtskarte steht repräsentativ für eine umfangreiche Postkartensammlung mit vielfältigen historischen Stadtansichten, die im Stadtarchiv einsehbar ist.

Wiesloch war schon immer eine Reise wert! Wenngleich Ansichtskarten im Zeitalter sozialer Medien und Messengerdienste etwas aus der Mode gekommen sind, besitzen sie doch nach wie vor eine große Fangemeinde. Es ist halt einfach schön, aller Digitalisierung zum Trotz, hin und wieder einen händisch beschrifteten Urlaubsgruß zu bekommen, den man sich z.B. an den Kühlschrank hängen kann.

Ende des 19. Jahrhunderts, als die Erfindung von Internet und Smartphones noch in weiter Ferne lag, war die Ansichtskarte natürlich ohnehin das Medium der ersten Wahl, wenn man seinen Freunden oder Familienangehörigen einen bebilderten Gruß aus der Fremde zukommen lassen wollte. Wobei „Fremde“ bei unserer Archivalie des Monats mit einiger Berechtigung in Anführungszeichen zu setzen ist, diese wurde nämlich in Rauenberg aufgegeben und nach Waghäusel geschickt. Doch natürlich muss man bedenken, dass es vor Aufkommen der Massenmotorisierung und dem Ausbau eines weitverzweigten Netzes öffentlicher Verkehrsmittel durchaus keine Alltäglichkeit war, solche, aus heutiger Sicht, läppischen Distanzen zurückzulegen.

Die schwungvollen und ästhetisch ansprechenden Kurrenthandschriften, deren Verwendung bis Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum üblich war, sind heute für die meisten Menschen schwer zu entziffern. Darum folgt an dieser Stelle die Transkription des auf der Karte geschriebenen Textes:

Rauenberg 12/11 [18]97
Nächsten Sonntag wird hier das Kirchweihfest gefeiert, wozu ich dich mit deinen lieben Angehörigen freundlichst einlade. Hoffe ganz bestimmt, daß du kommst und zum Mittag hier bist. Gebe mir gleich Antwort, wann du eintriffst.
Viele herzliche Grüße an dich und Familie von deinem treuen Freund [Namenskürzel].

Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass Ansichtskarten zu jener Zeit nicht nur für Urlaubsgrüße, sondern auch für trivialere Dinge, wie die Einladung zum städtischen Kirchweihfest, genutzt wurden.

Beim Betrachten der drei Abbildungen auf der Postkarte werden dem Ortskundigen sowohl vertraute, als auch heute nicht mehr existente Elemente des Wieslocher Stadtbildes ins Auge springen. Namentlich benannt ist hier das prachtvolle Kaiserliche Postamtsgebäude, in welchem zwischenzeitlich die Bezirkssparkasse untergebracht war und das, nach Umzug der Bank, zugunsten der heutigen Straßenführung abgerissen wurde.

Ebenfalls eindrucksvoll war das alte Schulgebäude am Marktplatz, welches dort bis in die 1970er-Jahre stand. Da es stark sanierungsbedürftig war und seinerzeit die Errichtung eines Schulzentrums am Rand der Stadt beschlossen wurde, wurde auch dieses Gebäude abgerissen. Heute steht an dieser Stelle das neue Rathaus, dessen Errichtung durch die starke Erweiterung der Aufgabenfelder der Stadtverwaltung nach der Eingemeindung Schatthausens und Baiertals und der Erhebung Wieslochs zur Großen Kreisstadt zwingend erforderlich geworden war.

Auch die auf der Karte abgebildeten Weinreben im Bereich des Stadtwingerts sucht man heute vergeblich. Diese wurden in den 1950er-Jahren im Rahmen der westlichen Ortserweiterung und der Reblandumlegung entfernt. Dafür kam es 1965, im Rahmen der Festlichkeiten zum 1000-jährigen Jubiläum der Marktrechtsverleihung an Wiesloch, zur feierlichen Einweihung der neugeschaffenen Stadtwingertparkanlage.

Wie man sieht, hat sich in Wiesloch in den letzten 125 Jahren einiges getan. Die Stadt ist gewachsen und wurde im Laufe der Zeit mehrfach in Teilen modernisiert und neuen Verkehrsverhältnissen und Erfordernissen angepasst. Manches Liebgewonnene blieb dabei auf der Strecke, was schon immer für kontroverse Diskussionen sorgte. Und dennoch blieb auch vieles erhalten, hiervon kann man sich insbesondere bei einem Gang durch die Innenstadt überzeugen. Dies ist unter Anderem der Tatsache zu verdanken, dass Wiesloch während dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenige Kriegsschäden zu beklagen hatte – ganz im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten vergleichbarer Größe.

Mittelalterlich bis modern – Wiesloch verfügt heute über eine äußerst vielfältige Bausubstanz, und gerade diese Vielfalt macht den Charme der Stadt aus. Legt sie doch Zeugnis ab von einer langen und wechselvollen Geschichte.

Stadtarchiv, Museum und Literatur über Wiesloch:

Wer nun Lust bekommen hat, sich noch eingehender mit der Geschichte Wieslochs zu beschäftigen, hat dafür vielfältige Möglichkeiten:
Unsere Seite Literatur verschafft einen guten Überblick. Jede Menge Lesestoff aus Originalquellen und historisches Bildmaterial gibt es außerdem in den Beständen des Stadtarchivs, das von allen interessierten Personen kontaktiert und nach terminlicher Abstimmung genutzt werden kann. Außerdem sei Ihnen ein Besuch des Städtischen Museums im mittelalterlichen Wehrturm „Dörndl“ nahegelegt, das in zentraler Stadtlage auf seiner Ausstellungsfläche allerlei Anschauliches zu den Themen Wieslocher Bergbau, frühe Besiedlungsgeschichte und vieles mehr zu bieten hat. Das Städtische Museum ist jeden Sonntag von 14 bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenlos.